Gestern wurde das Projekt
See&Art, von dem ich
hier schon kurz berichtet habe, mit 60 Kunstwerken rund um den Bordesholmer See eröffnet.
Da die Pfosten, die wir zur Markierung der Kunst-Stellen schon vor einigen Wochen eingehauen hatten, von Anfang an immer wieder rausgerissen, in den See geworfen, zerstört wurden (und auch Kunstwerke, die im Laufe der Woche schon aufgebaut / installiert wurden, beschädigt oder gestohlen wurden), war mir klar, dass ich für die 3,5 Monate Ausstellungsdauer dort kein kleines, filigranes Land-Art-Projekt realisieren kann, sondern dass es etwas werden soll, was der Zerstörungswut ein bisschen Widerstand leistet oder - besser noch - gar keine Angriffsfläche bietet.
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Oben neben dem morschen Baumstumpf fängt es an und schlängelt sich bis zum Ufer |
"Meine" Stelle zeichnet sich durch einen kleinen Wasserlauf aus, der aus dem Hang in den See fließt oder, je nach Bodenfeuchtigkeit, sickert.
Das habe ich aufgegriffen und mit Baumstämmen einen Fluss nachgebildet. Er fängt oberhalb des Weges im Hang hinter einem riesigen morschen Baumstumpf an, fließt etliche Meter den Hang hinunter und setzt sich unterhalb des Weges schlängelnd fort. Im Uferbereich, der sich wie eine flache Halbinsel in den See schiebt, verzweigt sich mein Fluss zu einem Delta.
Am Freitag und am Samstag habe ich also am Bordesholmer See geschuftet. Es gibt
in meinem Körper heute keinen Muskel, keine Sehne und kein Gelenk, das nicht weh tut. Aber i
ch habe zwei Tage bei schönem Wetter im Wald verbracht und es war wunderschön und ich war glücklich. Ich hatte die Erlaubnis bekommen Baumstämme, die beim Freischneiden von Wegen gefällt worden waren und im Unterholz lagen, zu verwenden. Manche waren aber dennoch zu lang und mussten zurechtgestutzt, sprich (mit der Handsäge!) gesägt, werden.
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Das Land-Art-Werkzeug |
Um das Ganze etwas zerstörungsresistenter zu machen, habe ich die Stämme halb in die Erde eingebettet. Folglich musste ich auch ziemlich viel graben. Mit der Sackkarre habe ich die schweren Stammstücke den Hang hinaufgezogen.
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So sah es zwischendurch aus |
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Und so am Ende oberhalb vom Weg |
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So geht's unterhalb vom Weg weiter |
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"Delta" im Uferbereich |
Nahe des Ufers ließen sich die Stämme/Äste nicht mehr in die Erde einbetten, weil dort zu viele Oberflächenwurzeln sind, die, wie ich finde, die menschgemachte Verästelung sehr schön spiegeln.
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Verästelung in und über der Erde |
panta rhei – alles fließt wird dem griechischen Philosophen Heraklit zugeschrieben, der in den sog. „Flussfragmenten“
das Sein mit einem Fluss vergleicht:
„Wer in denselben Fluss steigt, dem fließt anderes und
wieder anderes Wasser zu.“
„Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in
denselben, wir sind es und wir sind es nicht.“
„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“
Und was denke ich mir dabei? So einiges, was ich im Zusammenhang mit Kunst ja eher selten laut tue:
Alles, auch wir selbst, fließt, nichts
bleibt; alles ist im ewige Werden und Wandeln begriffen. Selbst die Erde fließt, der
vermeintlich feste Boden, auf dem wir stehen: Der Vulkanismus
treibt die Bewegung der Erdplatten an, Gebirge drücken sich hoch. Wind, Regen,
Frost führen zu Erosion, die die Gebirge wieder zum Fließen bringt (Stichwort
schwindender Permafrost), wieder abträgt. Ein ständiges Hin und Her im
Spielfeld der Kräfte.
Ich bin in der Vulkaneifel
geboren, einer von Lavaströmen und Vulkanausbrüchen geprägten
Landschaft
(mit ihrem - da, wo ich herkomme - schartigen, blasigen roten
Vulkangestein). Die Seen heißen dort Maare, und das Pulvermaar, mein
dortiges Schwimmgewässer, ist beeindruckende 72 Meter tief. Ich komme also aus dem Feuer, denke ich gern. Nun ist
die Holsteinische
Schweiz meine Wahlheimat, geprägt von Eiszeiten und Gletschern
(geschliffener
Kiesel), eine Moränenlandschaft. Unzählige Seen und links und rechts nicht weit zum Meer. Der See vor meiner Haustür, in dem ich jetzt schwimme, ist nur 8
Meter tief. Ich bin im Wasserland angekommen.
Bei allem Fließen und Wandeln sind wir Menschen meistens ganz froh, wenn sich nicht zu viel auf einmal verändert, wir suchen gern Sicherheit
im Statischen. Wie oft denken oder sagen wir, wenn es uns gut geht: Ach, so
könnt’s jetzt bleiben. Doch das funktioniert nicht.
Die moderne Welt hetzt:
Immer einen Schritt voraus, immer "schnell, schnell", immer mehrere Dinge gleichzeitig am Laufen. Wie viele Menschen habe ich in den zwei Tagen im Wald gesehen, die mit Walkman auf den Ohren um den See joggen oder mit dem Handy vor der Nase um den See spazieren gehen? Sehr viele, Kinder wie Erwachsene. Viel zu viele, für meinen Geschmack.
Die hohe Kunst ist wohl die, im Fluss zu bleiben, sich
dem Strom der Zeiten und Dinge, dem Wandel, hinzugeben und weder vorauszueilen (also zu hetzen), noch sich dagegen zu stemmen. Die hohe Kunst ist wohl die, sich vom Fluss tragen lassen.
Puh, so viel schreibe ich ja normalerweise nicht ...
Ein dickes Dankeschön an die Organisatoren dafür, dass ich die Gelegenheit bekam, so etwas Großes zu realisieren. Ein ebenso dickes Dankeschön an den Förster, der mir grünes Licht gegeben hat. Und an Doris, die mir am Samstag beim Feinschliff geholfen und geharkt hat wie eine Weltmeisterin.